Neulich hatte eine Zeitung ein Youtube-Video ausgegraben aus den Neunzigern. Damals gab es bei RTL ein Format, das hieß „Explosiv – Der heiße Stuhl“. Man setzte jemanden hin, der eine bestimmte Meinung vertrat und die sollte er dann gegen fünf andere, die anderer Meinung waren, verteidigen. In dem Youtube Video sieht man eine recht junge Angela Merkel, wie sie unter anderem mit dem inzwischen an Krebs verstorbenen Christoph Schlingensief streitet. Schlingensief hatte damals einen Film gedreht, der hieß „Das deutsche Kettensägenmassaker“. Es war ein satirischer Horrorfilm, in dem eine westdeutsche Metzgerfamilie nach der Maueröffnung Ostdeutsche metzelt. Der Untertitel lautete „Sie kamen als Freunde und wurden zu Wurst“. Ich war damals ein großer Fan von Schlingensief und bin es immer noch. Meine Position war damals ganz klar: Blut, soviel man will. Angela Merkel war anderer Meinung. Es gebe Studien, dass Gewaltdarstellungen Kindern schaden. Diese Ansicht hat sie gegen fünf kulturschaffende Männer vertreten. Obwohl sie gar keine Kinder hat. Hut ab.
Natürlich läuft das Kettensägenmassaker nicht im Kinderprogramm. In den Neunzigern gab es eine britische Krimiserie, die ziemlich Furore gemacht hat. „Für alle Fälle Fitz“ war ein absoluter Straßenfeger. Die Fälle waren außergewöhnlich, gelöst wurden sie durch einen spielsüchtigen Psychiater. Immer wurde auch sehr deutlich gemacht, welcher furchtbare Schaden im Umfeld – nicht nur in den Opferfamilien, auch bei Kollegen und Freunden – durch Gewalttaten angerichtet wird. Das beeindruckt mich heute noch, denn das kommt, wie ich finde, fast immer viel zu kurz. In die Schlagzeilen kam die Serie aber auch durch recht explizite Gewaltdarstellungen.
In unseren heutigen sozialen Netzwerken waren auch schon Filme und Bilder zu sehen, in denen Menschen andere töten und anderes schreckliches Zeug machen. Es gibt eine ganze Branche, vor allem auf den Philippinen beheimatet, die nur damit beschäftigt ist, soziale Netzwerke zu durchkämmen, um Leute wie dich und mich vor solchen Bildern zu schützen. Sie schauen alles an, was so von Privatnutzern hochgeladen wird. Die sogenannten „Content-Manager“ bekommen alles zu sehen, was man sich vorstellen kann, und sicher auch jede Menge, was man sich NICHT vorstellen kann oder will. Sie melden und löschen diese Sachen. Mitunter entgeht ihnen etwas. Pam Ramsden von der University of Bradford konnte nachweisen, dass man allein durch das Anschauen von Filmen oder Fotos von Gewaltdarstellungen eine posttraumatische Belastungsstörung bekommen kann. Content Manager leiden logischerweise schwer an ihrer – extrem schlecht bezahlten - Arbeit, bei der sie in langen Schichten diesen Inhalten ausgesetzt sind. Twitter, Google, Youtube, Facebook, Instagramm, Pinterest – you name it – all diese Internetriesen beauftragen Firmen, Uploads zu überprüfen.
Wenn man sich heute „Für alle Fälle Fitz“ anschaut, ist es immer noch eine echt gut gemachte Serie. Die Gewaltdarstellungen kommen mir nicht wirklich schlimm vor. Man ist einfach daran gewohnt, solche Sachen zu sehen. Das ist das eigentlich Schlimme. Es sind zwar nicht, wie im Fall der Content Manager – reale Bilder. Man weiß: Filmblut, Maskenbildner, alles fake. Aber an Gewalt gewöhnt sein ist echt übel.
Ungefähr im Vorschulalter erkennen Kinder, dass Fernsehfilme nicht real sind. In den Achtzigern belegten Studien, dass Kinder, die dem Fernsehen sehr früh ausgesetzt waren, später Konzentrations- und Lernstörungen hatten. Aber: Dabei hatte man tatsächlich nicht beachtet, welchen Inhalten die Kinder ausgesetzt waren.
Schon in den siebziger Jahren wurde eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass vor allem gewaltbesetzte Inhalte den Kindern später Schwierigkeiten bereiten. Auch gewaltbesetzte Zeichentrickfilme gehören dazu. Sie führen zu einem schlechteren Sozialverhalten, so die Studie. Ebenso können im Fernsehen gezeigte, erzieherisch wertvolle Inhalte Kindern durchaus nützen – auch das ein Ergebnis der Studie.
Also, ich weiß nicht, was der Neunzehnjährige aus Herne geguckt hat, der den neunjährigen Nachbarsbuben getötet und Bilder davon im Netz verbreitet hat. Ich bin kein Merkel Fan, aber da hatte sie vielleicht doch mal recht. Die ganze Sache ist ja nun ein paar Jahrzehnte her. Ich mag das Internet und profitiere im Alltag davon. Schade, dass durchgeknallte Kinderschänder, Pornosüchtige und Gewaltfreaks auch davon profitieren. Vielleicht könnte man ihnen elektromagnetische Impulsfrequenzgeber implantieren, damit sie nicht mehr surfen können. Jedenfalls entwickeln die Internetriesen hoffentlich bald eine Software, die solche Bilder automatisch erkennt, zur IP-Adresse des Uploaders nach verfolgt und ihm die Polizei ins Haus schickt.