Neulich im Laden an der Kasse, kleines Kind mit Mutter.
Mama, das da!
Keine Antwort.
Mama! Mama! Ich will das da!
Nein! Will – läuft schon mal gar nicht. Wenn überhaupt, dann möchte. Wir essen vor dem Abendbrot nichts Süßes. Und wenn du jetzt weiter nervst, gibt’s nachher kein Sandmännchen.
Das Kind fing an zu weinen, bekam einen Anschiss fürs Heulen und Sandmännchen wurde abgesagt.
Eine Alltagssituation. In die Erziehung der anderen mischt man sich nicht ein. Man schaut weg. Lächelt das Kind mitleidig an. Die Mama war bestimmt gestresst. Und man kann dem Kind ja nicht alles kaufen, was es will. Wo soll das enden. Die haben sowieso von allem zuviel. Und es ist ja nun kein Fall von Misshandlung.
Der Amazon-Bestseller Nr. 1 zum Thema Erziehung lobt Regeln, Strukturen und absolute Konsequenz. Als Elternteil solle man immer und absolut total konsequent sein. Ein Kind, das sich nicht an Regeln zu halten lerne, werde ein Egomane, der später im Leben überall aneckt.
Sorry, aber: das ist MIST.
Das Leben mag aus bestimmten wiederkehrenden Strukturen bestehen. Ihnen jeden Tag mit derselben Haltung zu begegnen ist weder möglich – noch gesund!
Was absolute Konsequenz bedeutet, weiß jeder, der schon mal eine Diät oder den Versuch, das Rauchen aufzugeben, abgebrochen hat. Jeder, der sich ein Sportprogramm auferlegt hat und dann doch auf dem Sofa sitzengeblieben ist.
Weder ist mein Kind eine Maschine, die ich mit ständig wiederkehrenden Regelkreisen programmieren kann - noch bin ich eine.
Ich habe, wie alle Menschen, gute und schlechte Tage - genauso wie mein Kind.
Wir reden miteinander, wir lassen es auch mal sein, wir streiten, wir vertragen uns, wir suchen Lösungen.
Manchmal hat man halt keine Lust,
schlafen zu gehen.
Oder zur Arbeit.
Oder Spinat zu essen.
Oder einen Spaziergang zu machen.
Am Tisch gemeinsam essen ist schön, aber wenn der Tag hart war, kann es auch Pizza auf dem Sofa sein. Oder Kirschkuchen.
Und meinem Sohn jedes Mal, wenn er nicht macht, was ich gerne hätte, eine als Konsequenz verkleidete Strafe aufzuschwatzen, ist keine Konsequenz, die sein Leben besser und strukturierter macht, sondern Faulheit – und zwar meinerseits.
Denn gerade dann mache ich es mir leicht und lehne jedes Gespräch ab.
Strafe bringt nur Gefühle der Kleinheit, Ohnmacht und Wut.
Mein Kind ist mein Gefährte, mein Freund, mein Mitbewohner, mein Pflegling, mein Mitmensch. Am besten ist es für ihn, wenn er weiß, dass er meiner Echtheit vertrauen kann. Dann sind wir in Kontakt und das scheint mir das Wichtigste.
Das bedeutet nicht, dass mein Kind Notwendigkeiten nicht spürt oder erkennt. Er sieht, dass ich zur Arbeit muss, ob ich will oder nicht.
Wenn ich meinem Kind sage, es soll keine anderen Kinder hauen, dann nicht, weil das eine Regel ist, sondern weil ich es nicht gut finde, andere zu hauen. Und wenn mein Kind trotzdem haut, dann vertraue ich ihm, dass er wohl in dem Moment keine andere Lösung gefunden hat, sich zu wehren. Wir sprechen darüber. Er findet einen Weg. Seinen Weg.
Ich habe die Aufgabe, ihm dabei zur Seite zu stehen, als Vorbild zu dienen und dabei selbst so authentisch wie möglich zu sein.
Es ist meine Aufgabe, meine Schwächen zu erkennen und zu akzeptieren und meine Stärken genauso. Es ist ein beständiges Ringen.
Der blinde Glaube an Regeln bringt Menschen hervor, die aufhören, selber zu denken. Die aufhören, an ihre Wirksamkeit zu glauben. Mit einem immer gehorsamen Kind zu leben ist natürlich leichter.
Du sollst zu Bett gehen, weil ich es dir sage.
Du sollst jetzt vom Spielplatz mit nach Hause kommen, weil ich es dir sage.
(Und schreien sollst du nicht, weil es mich stresst, wenn du deine Gefühle äußerst – und dann noch vor allen Leuten!)
Blinder Gehorsam bringt autoritäre Charakterstrukturen hervor – gutes Kanonenfutter, um einen hoffentlich bald obsoleten Begriff zu verwenden.