Heute möchte ich einen Text von Charlotte teilen. Sie hat ihn im Hannah-Gadsby-Fanclub gepostet und mir erlaubt, ihn zu übersetzen und zu posten. Ich lasse den Text für sich sprechen.
„Es geht mir gerade wirklich schlecht.
Vor vier Jahren habe ich mein persönliches #metoo geschrieben und meinen Vater als nicht registrierten Sex-Verbrecher geoutet.
Vor vier Jahren habe ich ein Foto gepostet von einem Tagebucheintrag aus meiner Kindheit, in dem ich Teile des Missbrauchs beschreibe und
#WhyIDidntReport (warum habe ich ihn nicht angezeigt)
Ich kann mir das Bild oder diesen Tagebucheintrag kaum anschauen wegen meiner kindlichen Handschrift.
Ich war ein Kind, als ich beschrieb, was er tat.
Das macht mich krank.
Ich habe auch die 10 Jahre beschrieben, die meine Schwester seinen Missbrauch erdulden musste.
Ich bat um Hilfe bei der Strafverfolgung.
Freunde und Fremde halfen mir.
Sie riefen Leute an, sie schickten wütende Mails.
Aber letztendlich kam mein Vater frei.
Weil er zugegen hatte, was er mir angetan hatte und
wir es nicht sofort haben strafrechtlich verfolgen lassen, konnte er dafür später nicht mehr belangt werden.
Auch der Missbrauch meiner Schwester, der von ihrem fünften bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr dauerte, wurde strafrechtlich nicht verfolgt, weil man sagte,
es gebe keine ausreichenden Beweise.
Denk mal einen Augenblick darüber nach.
Im Grunde hat er sie nicht übel genug missbraucht,
damit sie im Krankenhaus landet
(wo es einen Vermerk gegeben hätte),
daher hieß es, es stünde sein Wort gegen das ihre.
Auch mit seinem Geständnis, was den Missbrauch an mir angeht, sei es nicht genug für eine Anklage.
An alle Männer, die Kinder sexuell missbrauchen wollen:
Das Schicksal ist auf eurer Seite, dass ihr das könnt und niemals eine ernste Konsequenz dafür auf euch nehmen müsst.
Selbst wenn es öffentlich wird, müsst ihr wahrscheinlich nicht mal ins Gefängnis.
Ihr werdet frei sein, euren Job behalten oder einen anderen bekommen.
Meine Güte, habt ihr schon von dem Priester gehört, der noch nicht einmal wusste, dass es illegal ist, mit Kindern Sex zu haben?
Mach euch also keine Sorgen, Jungs.
Ihr kommt absolut leicht aus der Nummer raus.
Auch als Supreme Court Mitglied oder Präsident.
Befummelt sie ruhig weiter im Schritt, weil genauso wie Hannah Gadsby in ihrer Show „Nanette“ es so schön und elegant sagt,
„Wir geben einen Scheiß auf Frauen oder Kinder. Es geht einzig um den guten Ruf des Mannes.“
Ganz genau.
Wieder und wieder, es geht nur um Euch, Jungs,
um Euren kostbaren, kostbaren Ruf und Eure Existenzgrundlage und Eure zahllosen
zweiten und dritten Chancen.
Missbraucht und grabscht, soviel ihr wollt.
Das geht in Ordnung.
Wir wählen Euch in Euer Amt, selbst wenn ihr den Missbrauch zugegeben habt.
Das amerikanische Volk und seine Anführer werden Euch unterstützen.
Das machen sie schon immer.
Das tun sie auch jetzt.
Ich kann die Nachrichten zurzeit kaum verdauen,
auch kein Social Media.
Die endlosen Ansagen meiner Mitamerikaner,
denen es scheißegal ist.
Die einen Scheiß geben auf Frauen oder Kinder.
Ich weiß es, seit ich ein Kind war.
Seit mein Bischof zu mir gesagt hat,
„es ist Zeit nachhause zu gehen und mit
deinem Vater zu leben.“ Dass mein Vater
sich geändert habe und ich lange genug
von Zuhause fort gewesen sei.
Und obwohl ich um diese Wahrheit seit meiner
Kindheit weiß, dass die Gesellschaft sich einen
Scheiß um mich schert, oder um all die anderen,
die sexuell missbraucht oder angegriffen wurden,
ist es nicht leichter für mich geworden,
dabei zuzusehen.
Zuzusehen, wenn dem Opfer die Schuld gegeben wird,
oder wenn die Taten des Mannes entschuldigt werden
und die Kinder und Frauen in Frage gestellt werden.
Es schmerzt.
Du versuchst, taff zu sein. Stark zu sein.
Es schmerzt trotzdem.
Du gehst in Therapie seit deinem vierzehnten
Lebensjahr und machst dein ganzes
Erwachsenenleben lang weiter damit.
Es schmerzt immer noch.
Du siehst, wie all die Männer um dich herum schweigen.
Ich habe ganze fünf Männer unter meinen
fast 2000 Facebook Freunden, die sich aktiv
aussprechen gegen sexuelle Übergriffe und
die Gewalt, der Frauen und Kinder in unserer
Kultur ausgesetzt sind.
Warum schweigen die Männer?
Warum finden Straftäter so häufig Unterstützung von Frauen?
Warum hat meine Mutter meinen Vater nicht verlassen?
Warum, warum, warum.
Man kann verrückt davon werden, sich das zu fragen.
Vor allem wenn die offenkundige Antwort darauf lautet, es ist den Leuten einfach egal.
Warum behaupten meine eigenen Brüder
und Schwestern, meine Schwester und ich
würden lügen, wo es doch einen Eintrag
gibt im Anchorage Police Departement
über die Taten meines Vaters?
Wenn sie doch den Eintrag sehen in meiner Kinderhandschrift in meinem Tagebuch
von vor so vielen Jahren?
Warum ignorieren sie die Tatsachen und
behaupten stattdessen, ich treibe eine
Hexenjagd gegen meinen Vater voran?
Ich habe mittlerweile gelernt, dass Familienmitglieder
sich häufig hinter den Straftäter stellen, aber es schmerzt dadurch nicht weniger.
Dieser Post beschreibt nur einen Teil meines Missbrauchs.
Ich habe eine meilenlange Liste persönlicher Geschichten von Missbrauch, Übergriffen und sexuellen Übergriffen.
Werde ich auch diese Geschichten eines Tages erzählen?
Ich frage mich selbst, ob sich etwas ändern wird,
wenn ich sie erzähle. Es ist nicht so, dass es meiner Schwester oder mir etwas gebracht hätte, meine
verdammte Seele und die Wahrheit über meinen
Vater der ganzen Welt zu zeigen.
Es gibt nichts, um diesen Post besser zu machen.
Ich bin deprimiert und voller Schmerz.
Ich bin wütend. Ich koche vor Wut.
Es ist die Wut derjenigen, die ihren Peiniger
frei durch die Welt spazieren sieht, als wäre gar nichts.
Sie gehen als freie Männer durch die Welt.
Und ich fürchte mich vor der Welt, die meine Töchter erwartet.
Die Welt der Brock Turners und der Richter,
die den Brock Turners dieser Welt die Hand
zum High Five entgegen halten.
Die Welt meiner Landsleute, die Männer wählen,
die mit ihren sexuellen Übergriffen prahlen.
Und wenn ich deprimiert bin und verletzt und
wütend und vor Zorn überkoche und auch Angst
habe, dann könnt ihr wetten, dass es viele andere
von uns auch sind.
An die, denen es so geht wie mir:
Ich sehe euch.
Ich habe euch in meinem Herzen und spüre euren Schmerz.
Ich nehme Medikamente. Sehr sorgfältig.
Ich trinke Wein.
Ich sitze still da.
Ich bewege mich manchmal kaum,
paralysiert von der Flut und der Macht
der Emotionen, die mich heimsuchen.
Es ist der deprimierende, erschöpfende Scheiß,
den man als Empath zu bewältigen hat,
in einer Welt, der man vollkommen egal ist.
Männer, das könnt nur ihr wieder hinbiegen.
NUR IHR.
Genauso wie nur Weiße die weiße Vorherrschaft
und den Rassismus in diesem Land beenden können,
genauso können nur Männer gegen toxische Männlichkeit vorgehen, gegen den patriarchalen Missbrauch und die Übergriffe auf Frauen und Kinder.
Und wir sehen euch.
Wir sehen und spüren die Stille all der „guten“ Männer da draußen.
Wisst ihr, wozu euch dieses Schweigen macht?
Zu Komplizen.
Wenn ihr keine Komplizen sein wollt,
müsst ihr euren Mund aufmachen.
Meldet euch. Tut was.
Wenn ihr denkt, nein, Charlotte, ich fühle
deinen Schmerz auch, und du bist mir nicht
egal und auch die anderen Frauen und Kinder
sind mir nicht egal.
Dann sagt es den Frauen in eurem Leben.
Und nicht nur einmal.
Ihr müsst den Mund aufmachen,
wieder und wieder, um das hinzubekommen.
Ihr müsst es die ganze Zeit tun.
Und wenn meine Anschuldigungen euch ein schlechtes Gefühl machen, dann müsst ihr euch fragen, weshalb.
#metoo #whyididntreport #silencemakesyoucomplicit #wedontgiveafuckaboutwomenorchildren #watchnanette"
Soweit der Post von Charlotte. Brock Turner, den sie in diesem Text erwähnt, ist ein College Student, der dabei erwischt wurde, als er versuchte, eine bewusstlose Frau zu vergewaltigen.
Er erhielt dafür nur ein geringes Strafmaß, was einen öffentlichen Aufschrei zur Folge hatte.
Der Fall hat in den Vereinigten Staaten für viel Aufsehen gesorgt.
Der betreffende Richter, der das geringe Strafmaß zu verantworten hatte, wurde inzwischen aus seinem Amt abgewählt und die kalifornische Gesetzgebung verändert.
Wer Charlottes Geschichte im Original lesen möchte, kann es hier tun:
https://www.facebook.com/redcharlotte
oder auf Charlottes Seite:
https://www.charlottekaufman.com