Stell dir vor, du hast eine Tasse in der Hand mit heißem Kaffee drin. Und während du dich darauf vorbereitest, auf den ersten Schluck, den ersten, ersehnten schönen warmen Schluck köstlichen Kaffees, wird dir jemand vorgestellt. Du schaust ihn an und schüttelst ihm die Hand. Die Wahrscheinlichkeit, dass du den Menschen ganz nett findest, während du ein warmes Getränk festhältst, ist höher, als wenn du etwas Kaltes in der Hand gehalten hättest.
Was Kaltes.
Kemmerich. Wer wusste wann was? Wer hat was vorbereitet und wen eingeweiht? Und wer hat es trotzdem gemacht? Vor lauter Kemmerich übersieht man ja manches. Man muss sich von Zeit zu Zeit die Augen wischen.
Sprechen wir mal über Friedrich Merz, den Mittelstandsmillionär, der gerne möchte, dass wir alle für unsere Altersvorsorge Aktien kaufen.
Der hört jetzt nämlich auf bei Blackrock.
Er will die „Zeit nun nutzen, die CDU noch stärker bei ihrer Erneuerung zu unterstützen“ und er will sich weiter politisch einbringen, sagt er. In seinen Wahlkampfveranstaltungen erzählt er nicht von rechten Gewalttaten, wie etwa getöteten Parteigenossen, sondern von G-20 Krawallen und Connewitz. Der Merz bereitet den Boden.
Von 2005 bis 2014 war Merz Partner bei einer der 20 größten Anwaltskanzleien der Welt. Sie heißt Mayer, Brown, Rowe & Maw LLP und vertritt vor allem Wall-Street-Klientel. Sie ist Partner der True Sale International, einer Lobbyorganisation, die sich für die Deregulierung der Finanzmärkte einsetzte.
So wurden Finanzprodukte zugelassen, die für Laien kaum verstehbar waren – Finanzprodukte, die später der Hypo Real Estate und anderen Landesbanken den Hals gebrochen haben.
Merz wurde von der Kanzlei damit beauftragt, einen Käufer für die WestLB zu finden – natürlich erst, nachdem man Ramschpapiere im Wert von 77 Milliarden Euro in eine Bad Bank ausgelagert hatte. Diese Bad Bank wurde von Steuergeldern finanziert.
Steuergelder, die im Idealfall für, naja, Kindergartenplätze oder Sozialwohnungen oder das Renovieren von Schulen ausgegeben werden könnten, oder, ha, für den Ausbau des Schienennetzes, um den Schwerlastverkehr von der Straße zu bekommen oder für freien öffentlichen Nahverkehr für alle oder…
Merz nahm den Job an. Er bekam dafür das, was man im gehobenen Mittelstand halt so verdient:
5000 Euro. Räusper. Pro Tag.
Er war übrigens durchaus erfolgreich: Das Bankhaus HSBC Trinkaus & Burkhardt übernahm die Aktiva der West-LB, und Merz bekam den Vorsitz von HSBC Trinkaus & Burkhardt.
Schon mal gehört? Oder BlackRock. BlackRock? Kein Begriff? Gegen die wurde wegen dieser Cum-Ex Sache ermittelt. Cum-Ex? Fünf Milliarden Euro aus Taschen der deutschen Steuerzahler?
Heute Morgen geduscht? Axe, Duschdas, Dove gehören alle zu Unilever. Dessen größter Aktionär? Genau. BlackRock. Zähne geputzt mit dem guten Signal? Deo benutzt? Impulse?
Haare gestylt? Toni&Guy? Isst du gerne Magnum? Trinkst Tee von Lipton? Bindest dein Sößchen mit Mondamin? Und... wenn du dein Zeug online bestellst und von DHL, Deutsche Post, Fedex oder UPS geliefert wird...profitiert --- BlackRock.
BlackRock hält mehr Aktien an Amazon als Jeff Bezos himself, mehr an Facebook als Zuckerberg. Und wer kehrte zu BlackRock zurück, als ihm das Annegret den CDU-Vorsitz vor der Nase weggeschnappt hat?
Der alte Fritze Merz.
Naja, aber der Joschka ist ja auch zu BMW und RWE und der Gerhard zu Gazprom und erst neulich der Sigmar Gabriel zur Deutschen Bank und und...
Im Grunde wissen wir es ja. Lobbyismus. Nicht mehr die Politik sagt der Wirtschaft, wie der Hase laufen soll, sondern andersherum. Wenn die Wirtschaft der Regierung sagt, was zu tun ist, mit ihren Gewinn- und Wachstumsmaximierungszielen dran ist, dann erhält bei öffentlichen Ausschreibungen nicht der zuverlässigste, sondern der billigste Anbieter den Zuschlag - auch wenn jedem klar ist, dass das ausgeschriebene Projekt für solch einen niedrigen Betrag unmöglich verwirklicht werden kann – führt zu Leiharbeitern, führt zu Ausbeutung, führt dazu, dass die Ndrangheta sich an Stuttgart 21 die Nase golden verdient.
Dann geht es nicht mehr um Zuverlässigkeit oder Qualität, sondern um Kosteneffizienz.
Falls du Bahnpendler*In bist, erfährst du mindestens wöchentlich, was das für deinen Alltag bedeutet. Ich fasse zusammen: Pünktlichkeit ist völlig überbewertet. Ich freu mich, wenn der Zug kommt und wirklich bis zur angekündigten Station weiterfährt.
Die Automobillobby und der Andi Scheuer sorgen für die Automobilfirmen, die Chemielobby für die Chemiefirmen, Jens Spahn für die Pharmafirmen and so on. Alle haben dasselbe Ziel: Die Aufrechterhaltung des Status Quo, der kapitalistischen Marktwirtschaft, deren Hauptziel das Wachstum ist – das gleiche Wachstum, dass die Erde kaputtmacht und das Klima und die Luft und die Tiere und die Menschen. Vom Merz wird der Boden bereitet, auch wenn es die Erde das Leben kosten wird.
Die Menschen stehen auf, bringen ihre Kinder zur Schule (das Vorbild für die Schule ist übrigens nach Foucault das Gefängnis), gehen arbeiten (in einer Umgebung, die ihren Körpern, den Tempeln ihrer Seele, nicht gut tut – auch hier stand, laut Foucault, das Gefängnis Pate).
Weil sie nicht genug Geld verdienen, um sich gesunde Sachen zu kaufen, kaufen sie billige Sachen, die umweltschädlich hergestellt sind. Die Leute haben deshalb ein schlechtes Gewissen und wollen sich nicht weiter damit beschäftigen. Also gucken sie am Abend fern, das ist eine Art Lutscher fürs Gehirn.
Sie bemerken gar nicht, dass sie im Grunde alles richtig machen! Sie haben auf diese Art einen absolut befriedigenden Customer-Lifetime-Value. Das ist der Wert, den sie im Lauf ihres Lebens für Unternehmen aller Art darstellen, indem sie: konsumieren.
Sie essen Chips aus einer Tüte, deren Aufreißgeräusch von einem Sounddesigner eigens erschaffen worden ist, damit es sich so richtig befriedigend chipsig anhört, voll und cross und trotzdem irgendwie fluffig.
Sie trinken vielleicht ein oder zwei Bier, weil sie einen Schmerz betäuben müssen, der ihnen bereits früh eingepflanzt wurde: Nämlich das Aufwachsen in der vollkommen dysfunktionalen Kleinfamilie, die durch unsere Verfassung geschützt ist - als Keimzelle der Gesellschaft.
Die Kleinfamilie ist so gedacht, dass Papa arbeiten geht und Mama sich um den Haushalt und die Kinder kümmert. Da man aber ein Dorf braucht, um ein Kind adäquat groß zu bekommen, nehmen alle Schaden an diesem System.
Das Kind bekommt eine Bindungsstörung, die Mutter Depressionen, der Mann ein Burn-Out.
Ein narzisstischer Trump geht beispielsweise daraus hervor, der permanent nach Größe, Überlegenheit und Macht strebt. In den Vereinigten Staaten ist körperliche Gewalt an Kindern Teil der normalen Erziehung. Regelmäßig lege ich mich auf Facebook mit US-Amerikanerinnen an, die ihre Kinder vermöppen. (Die denken, ich hätte sie nicht mehr alle, wenn ich ihnen sage, dass ich jede Gewalt ablehne, genauso wie „Aus-Zeiten“.) An US-amerikanischen Schulen werden Jungs dreimal häufiger als Mädchen mit einem Holzpaddel vor der ganzen Klasse auf den Po geschlagen. Trump sagt über seine Lehrer an der New Yorker Military Academy, auf die er im Alter von 13 Jahren von seinem Vater geschickt wurde:
„The instructors used to beat the shit out of you; those guys where rough.“
Praktisch ist natürlich, dass der Schaden, den dieses System anrichtet, nämlich die Traumatisierung des heranwachsenden Wesens, gleichzeitig hervorragend für das Funktionieren im kapitalistischen System abrichtet. Der Merz bereitet den Boden.
Außerdem ist es wichtig, dass viele Nachkommen produziert werden: Die braucht man ja für die Arbeit und für die Kriege. Je mehr Söhne, desto mehr Terror und Krieg. Jeder Kriegstote war irgendwann ein Säugling. Je autoritärer der aufwächst, umso besser fürs Geschäft.
Deswegen ist es auch nicht relevant, ob eine Frau ihr Kind will oder nicht. So doll lieb soll sie es nämlich gar nicht haben. Das macht es leichter, wenn es tatsächlich in den Krieg zieht.
Noch nicht lange her ist es, dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar wurde. Wer dagegen gestimmt hat? Friedrich Merz.
Und wer fand außerdem, dass es Eltern frei stehen sollte, ob sie ihre Kinder verhauen?
Neulich war Friedrich Merz beim Neujahrsempfang in Blankenese, wo er zusammen mit Chrissi Lindner und Claudia Roth eingeladen war, eine kurze Rede gehalten. Er hat dabei Mark Twain zitiert.
„Man fragt sich, ob die Welt von guten Menschen regiert wird, die uns zum Narren halten oder ob es Schwachköpfe sind, die es ernst meinen.“
Mark Twain
Und wisst ihr, was er noch gesagt hat? Also, der Merz, meine ich?
Dass die wichtigste Frage nicht sein könne, ob die Bahnverbindung zwischen Hamburg und Sylt wieder störungsfrei funktioniert.
Der Mann hat echt Humor.
Aber er fährt wahrscheinlich nicht so oft Zug. Und hat vielleicht DB-Aktien.
Und womöglich ist er unser nächster Bundeskanzler.