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Böse Hexen ?

Es gibt ein fantastisches Buch von Colson Whitehead, es heißt Underground Railroad. Darin geht es um ein im Untergrund tätiges Netzwerk aus GegnerInnen der Sklaverei, dass es Schwarzen ermöglichte, aus dem Süden der Vereinigten Staaten zu fliehen. In einem erzählerischen Nebenstrang des Buches geht es um ein drei mal drei Yard großes Stück Land. Sklavenmädchen Cora hatte es von ihrer Mutter Mabel und die von Großmutter Ajarry geerbt. Cora pflanzt darauf Gemüse an. Eines Tages kommt ein Mann auf die Farm, auf der Cora versklavt wird. Er baut auf Coras Stück Erde eine Hütte für seinen Hund. Cora zerschlägt die Hütte mit einem Beil.

Cora kämpft um ihr Land.

 

Das Wort „Hexe“ leitet sich ab von „Hagezusse“.

 

Hag sei die Hecke und Zusse ein Schaden bringendes Weib. Die Hexe sei die Mittlerin zweier Welten gewesen, so heißt es auf spirituellen Seiten im Internet. Die „Heckenreiterin“ habe die äußere Menschenwelt und die sinnliche Anderswelt verknüpft, gerne mit psychedelisch wirksamer Hexensalbe, aufgetragen auf erotisch wirksamen Besenstielen. Hagezussen seien Heilerinnen gewesen, kräuterkundige Frauen, die um Rat gebeten wurden, wenn jemand erkrankt war, Blutungen ausblieben oder Schwangerschaften erwünscht waren.

 

Mir erscheint diese Sache mit den Heckenreiterinnen ein wenig an den Haaren herbei gezusselt.

Die Menschen damals haben nicht unterschieden zwischen Zivilisation und Wildnis. Sie lebten in der Welt, die war um sie und mit ihnen, als Tier, als Pflanze oder als Mensch. Es war für alle wichtig, Mittel zu kennen, die halfen, lange gesund und arbeitsfähig zu bleiben.

 

Hast du mal versucht, eine Pflanze aus dem Boden zu reißen? Am besten geht es, wenn man die Füße links und rechts neben die Pflanze stellt, mit beiden Händen zupackt und kräftig zieht.

 

Das ist es, was die Hagezussen gemacht und woher sie ihren Namen haben. Und sie haben nicht irgendwelche Pflanzen herausgerissen. Sie haben ganz spezielle Bäumchen herausgerissen.

Diese Bäumchen wurden im Auftrag von Großgrundbesitzern, Klöstern, Kirchenfürsten und Landlords um Gemeindeland gepflanzt. Ihr Ziel war, das bis dahin der Allgemeinheit zur Verfügung stehende Flurstück für eigene Zwecke zu sichern. Die Hagezussen wollten sich zurückholen, was sie für ihr Überleben brauchten. Nun ist arm sein (auch heute noch) ein 24h- Job: Sollte das Ausreißen in der Nacht passieren, damit es niemand mitbekommt, konnte man vielleicht einen Ziegenbock mitnehmen, der beim Ziehen hilft. Oder vielleicht einen Esel? Und die ausgerupfte Pflanze sieht einem Besenstiel nicht unähnlich im Dunklen.

Es ist ziemlich schwierig, sich vorzustellen, das man nicht lesen und schreiben kann. Bevor Menschen etwas aufschreiben konnten, hatten sie andere Wege, sich Dinge zu merken. Man sagte Sachen in Gedichtform auf oder verband einen Inhalt mit einer Tätigkeit. So kamen „Rituale“ zustande. Wenn ich mir „1 Krötenbein, 3 Spinnenaugen aufkochen und kräftig rühren“ nicht merken kann, dann vielleicht

 

„Spinnenaug und Krötenbein

zwölfmal muss gerühret sein!“

 

Und zack! Hat man ein hübsches schwarzes Hexenritual.

 

Bereits die ersten Bauernkriege waren Protest gegen die Verelendung der Landbevölkerung, gegen steigende Abgaben für Feudalherren und Klöster. Noch mehr Getreide, noch mehr Hühner, noch mehr Arbeitsstunden auf den Feldern der Feudalmacht oder des Klosters.

 

Wer sich sträubte, begehrte allerdings gegen eine quasi-mafiöse Struktur auf:

Das Treueverhältnis mit den Adligen oder der geheiligten Autorität der Bischöfe wurde, wenn es sein musste – durch offene Gewalt erzwungen. Außerdem war die Kirche fürs Seelenheil zuständig: Einen Priester brauchte es, um zwischen den sündigen Menschen und Gott zu vermitteln.

 

Die Landnahme als interne Dynamik von Gewinn- und Prestigestreben als Grundsäule des Kapitalismus ging weiter: So entstanden später erste Monokulturen oder z. B. große Flächen Weideland für Schafe, um der wachsenden Nachfrage für Wolle, die in den entstehenden Tuchmanufakturen verarbeitet werden sollte, nachzukommen. Karl Marx nannte das die „ursprüngliche Akkumulation“, sie war der historische Scheidungsprozess von Produzent und Produktionsmittel. Unter 'Einhegungen' versteht man die (gewaltsame) Umwandlung von Gemeindeland in Privateigentum. In England hieß das ganze „Enclosure movement“ und begann etwa ab dem 15. Jahrhundert. Der Anthropologe Karl Polanyi schreibt in seinem Buch „The Great Transformation“:

 

Was wir als Grund und Boden bezeichnen, ist ein mit den Lebensumständen des Menschen untrennbar verwobenes Stück Natur. Dieses Stück Natur herauszunehmen und einen Markt daraus zu machen, war das vielleicht absurdeste Unterfangen unserer Vorfahren.“

 

Wenn Nestle etwa von korrupten Regierungen Land erwirbt, auf dem natürliche Quellen vorkommen, um dann Leuten, die dort wohnen, ihr eigenes Wasser zu verkaufen – oder es in Plastikflaschen in reiche Länder zu transportieren und dort zu verticken, ist das nichts anderes.

 

Hagezussen waren Frauen, die sich gewehrt haben, weil man ihnen und ihren Kindern die Lebensgrundlage entzog.

 

Seit dem späteren Mittelalter saßen Männer in Beichtstühlen und hörten sich täglich an, wie überall gesündigt wurde, ganz genau und en detail. Kaum vorstellbar, was geschieht, wenn einem wöchentlich jemand mit Autorität erzählt, was man nach dem Tod alles wird erleiden müssen, wenn man sich nicht bessert. Sich bessert gegen eigene, körperimmanente Gefühle! Eine Hölle, die ich täglich erleide, verliert ihren Schrecken eher, als eine, die nur in meiner Vorstellung existiert. Die permanente Angstspannung, die die Kirchenvertreter anfachten, wurde genauso verinnerlicht, wie wir Dinge verinnerlichen, mit denen uns Werbung oder Filme unermüdlich berieseln: Wenn du nur genug arbeitest, verdienst du mehr Geld, kannst mehr kaufen und wirst so glücklich und begehrenswert wie die Frau mit dem weißen Hut, die Kokospralinen isst. Wenn du arm bist, bist du faul und selber schuld! Arbeite mehr! Mehr!

 

Kirchenvater Augustinus hatte ungefähr im 5. Jahrhundert über seinen Kampf gegen sein eigenes Begehren geschrieben. Wahrscheinlich hat er es gar nicht böse gemeint. Die Mächtigen der Kirche aber wussten bald, dass Sex Sünde ist. Infiziert mit dem Bösen sei der Mensch, ja, gar nächtens, von ganz allein, kommt das Böse in ihn, im Schlaf! Und am Morgen ist das Laken eingesaut!

Foucault hat darüber geforscht – Lust und Begierde seien im Zentrum des Geständnisses gewesen. Von all der Erbsünde und der erzwungenen Enthaltsamkeit hatten sich im Lauf der Jahrhunderte ausreichend kranke Gedanken angesammelt, für die es Kompensation brauchte. So schrieben zwei besonders beschädigte Mönche, Heinrich Kramer und Jakob Sprenger, ein Buch: Den maleus maleficarum, den Hexenhammer. Die Folge waren ein paar Millionen gefolterte und verbrannte Leute, für deren Mord sich die Kirche bis heute nicht entschuldigt hat.

 

Im Geschichtsunterricht hast du ganz ganz vielleicht einmal etwas von der „Tragik der Allmende“ gehört. Nein? Nicht schlimm. Etliche Ökologen und Wirtschaftswissenschaftler haben sich an dem Begriff abgearbeitet und versucht, nachzuweisen, dass gemeinschaftlich bewirtschaftetes Weideland zu wenig Pflege erfuhr, nur geringe Erträge brachte und es kein großer Verlust war, als man mit den Enclosures der Landbevölkerung die Lebensgrundlage entzog.

 

Dahinter stand die auch heute verbreitete innere Haltung, das arme Leute einfach faul sind und das Land nicht gut bearbeitet haben. Kein Gedanke an Fruchtfolge oder die Wichtigkeit, etwas brach liegen zu lassen, damit sich der Boden erholt.

Im Mittelalter und mancherorts auch heute ist man nicht der Überzeugung, dass alle Menschen gleich sind an Rechten oder Würde. Es gab Mächtige und Machtlose, ihr Schicksal war entschieden mit der Geburt. Wer sich dagegen erhob, um mit den selber gepflanzten Karotten von der Allmende ein Abendessen zu kriegen, erhob sich nicht nur gegen die Kirche und den Dorfherren, sondern gegen Gott.

Guckstu im Römerbrief: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott, wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet.

 

Elinor Ostrom, eine US-amerikanische Politikwissenschaftlerin, bewies 1990 in ihrem Buch „Governing the commons“, dass die Allmende keineswegs durch Vernachlässigung oder aus Uneinigkeit der NutzniesserInnen sozusagen eines natürlichen Todes gestorben war. Ostrom zeigte, dass gemeinschaftliche Nutzung der Allmende zustande kam - auf eine völlig verrückte Art und Weise:

Die Nutzenden SPRACHEN miteinander. Sie organisierten sich und fanden Lösungen. Total crazy. Die Allmende war ein Ort des Austausches, des Soziallebens und der Subsistenz für den weniger wohlhabenden Teil der Bevölkerung (und das waren damals wie heute überwiegend Frauen mit Kindern). Menschen sind Wesen, die Beziehungen suchen, sie fühlen mit, wollen Erfahrungen und Erlebnisse austauschen. Unsere Empathiefähigkeit soll gar der Schlüssel unseres evolutionären Erfolgs sein. Ich glaube nicht an ein paar wenige kräuterkundige Frauen, sondern an die Gemeinschaft aller, die ihr Wissen teilten, die einander beistanden bei Geburt und Tod. Aber zurück zur Allmende und den Hexen.

 

Also: Elinor Ostrom erhielt für ihre Forschungen zur Allmende als erste Frau 2009 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, weil sie gezeigt habe, wie gemeinschaftliches Eigentum von Nutzerorganisationen erfolgreich verwaltet werden kann.

 

Wenn du keine Möglichkeit mehr hast, dich mit Land und Anbau und vielleicht einer Kuh, einer Ziege und einem Rudel Hühner selber einigermaßen über die Runden zu bringen, wirst du im ersten Moment sauer. In der Langzeitfolge aber wirst du VerkäuferIn: Deiner Zeit und deiner Arbeitskraft. Und wenn es schlecht läuft, musst du deinen Körper verkaufen. Oder den deiner Kinder.

 

Wenn dich die theoretischen Hintergründe zu diesem Text interessieren, empfehle ich dir folgendes Buch:

 

 

Silvia Federici, Caliban und die Hexe.