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Geld für imperiale Kampfläufer

Kaufen ist leicht. Ich wünsche mir den Pulli, den Thermomix, das Auto. Wenn ich genug Geld habe, kaufe ich, und dann ist der Wunsch weg. Was aber, wenn ich mir Geld wünsche? Als reine (Kauf)Energie, als Zeichen? Wann ist es genug? Wie viele Nullen nach dem Nenner braucht es, um zu sagen, es reicht?

 

1000 Euro können wir uns vorstellen.

 

Dafür bekommt man:

Einen LEGO-StarWars Todesstern, eine LEGO-StarWars Wolkenstadt und zwei Imperiale Kampfläufer.

 

Bis 100 000 schafft man es, denkt an Wohnungs- oder Hauskäufe, vielleicht schafft man auch ein paar Millionen.

 

Aber dann? Welchen Grad von Abstraktion können wir verarbeiten?

 

Wenn wir mit Abstraktionen arbeiten müssen, werden wir unsicher. Unsicherheit macht Angst.Es ist sogar eine besonders gefährliche Angst, weil wir sie nicht sofort bewusst bemerken.

 

Und dann die Abstraktionen beim Aktienhandel!

 

Call-Optionen, Cashflow, Bonds, Charttechnik!

Ideal für Panikattacken unbekannter Herkunft.

 

Nebst der Evolution des Bewusstseins und Lego Star Wars gehören einige PolitikerInnen zu meinen Lieblingssujets. Manche erscheinen mir wie Avatare aus Menschenfleisch. Ob Beatrix von Storch sich geniert, nachdem sie ein Interview gegeben hat?

 

Als ich noch Theater gespielt habe, sahen wir uns den Auftritt später noch einmal an, um zu sehen, was man besser hätte machen können. Das war oft hochnotpeinlich.

 

Soweit ich das bei Frau von Storch beurteilen kann, ist ihr nichts peinlich.

 

Ursula von der Leyen klingt vernünftiger. Sie wirkt belesen und sicher in ihrem Urteil, obwohl sie natürlich Fehler macht. Zum Beispiel ihre Idee damals mit den Bildungsgutscheinen: Aber man merkte, dass sie das echt für eine gute Idee hielt. Hinter der Gutscheinsache stand das Dispositiv von den Hartz-IV-Eltern, die das ganze gute Geld versaufen, statt ihren Kindern den Geigenunterricht zu bezahlen. Aber die Bildungsgutscheine kamen nicht an, wo sie sollten.

 

Weshalb? Bürokratie? Ein zu hoher Abstraktionsgrad?

 

Was Frau von der Leyen und Frau von Storch gemeinsam haben, ist ihr inkorporiertes kulturelles Kapital:

 

Sie denken, dass das, was sie denken und sagen, wichtig und richtig sei, weil es von ihnen kommt.

 

Adlige, Nachkommen einstiger Feudalherren oder alte weiße Männer wachsen auf in einem gesellschaftlichen Resonanzraum, der ihnen spiegelt, dass man sie für kompetent hält und dass ihre Meinung ernst genommen wird.

 

Einmal war ich (aus Versehen! Ich schwör!) auf einer Lesung von Alexander Graf von Schönburg-Glauchau, zurzeit tätig bei der Bildzeitung. In einer Hotelbar mit Kronleuchtern und goldgerahmten Spiegeln saß er in einem Samtsessel mit gedrechselten Armlehnen und erzählte,

 

Werte seien wichtig!

Werte seien bleibend!

Es sei gestern falsch gewesen, den eigenen Bruder zu verraten, es sei heute falsch, den eigenen Bruder zu verraten und es werde auch morgen falsch sein, den eigenen Bruder zu verraten!

 

Der zuhörende Pöbel nickte, in Ehrfurcht erstarrt.

In solchen Momenten leide ich unter pathologisch beschleunigtem Ablauf ordnungsfreier Gedanken - und kann nicht mehr sprechen.

Später fiel mir natürlich ein, was ich hätte sagen können.

 

Wenn mein Bruder zum Frühstück kleine Kinder isst, dann muss ich ihn verraten, Bruder hin oder her.

 

Rhetorisch sind solche Leute sehr geschickt. Etwa die Presseerklärung von Philipchen Amthor nach seinem korrupten Ausfall mit Augustus Intelligence (die übrigens in diesem Jahr 34,5 Millionen ‚verbrannt‘ haben soll. Prinz Stefan von und zu Lichtenstein und Theodor von Guttenberg machen dabei mit. Manche Menschen haben einfach alles.)

 

Besagte Presseerklärung wurde von klugen Leuten vielfach wegen ihres kunstreichen Framings zerlegt. Es ging letztlich um Amthors impression management

Er hat einfach seine Rolle als Politiker nicht überzeugend gespielt. Amthor, seit letztem Jahr katholisch getauft, postet auf Facebook das neue Buch von Merz, seinem Idol.

 

Textprobe?

Die deutsche Geschichte ist eine Geschichte der Höhen und Tiefen.

 

Aha.

In meiner alten Buchhandlung gab es für 2,50€ eine „Phrasendreschmaschine“. Merz will ja, dass wir alle in Aktien investieren. Falls er in die Phrasendreschmaschine investiert hat, hat er offenbar Mehrwert generiert: Das Buch ist ein Bestseller.

 

Nach Francois Quesnay, einem französischen Ökonom des 15. Jahrhunderts, dessen Strukturierungen heute noch in VWL-Büchern zu finden sind, gehören Landwirte und Handwerker zur produktiven Klasse, Händler zur verteilenden Klasse und Landbesitzer sind – ökonomisch betrachtet – steril.

 

Und Finanzgeschäfte?

Lloyd Bankfein, einst Chefe von Goldman Sachs, fand, seine Mitarbeiter seien die produktivsten der Welt – kurz nachdem man Goldman Sachs mit 125 Milliarden Staatshilfen aus dem Sumpf gezogen hatte.

 

Der Mann ist voll von inkorporiertem Kapital!

 

Ich persönlich kam in den Genuss eines Aufsatzes von Amthor:

„Unser Grundgesetz kann eine Leitkultur-Debatte nicht ersetzen, sondern es verlangt nach ihr.“

Ich weiß, ich stelle harte Ansprüche an die Konzentration meiner werten LeserInnen, aber

 

stay with me!

 

Ein bekopfter Anzug an einem Rednerpult taucht auf vor dem inneren Auge, im Hintergrund spielt das Nervensystem in dunkelblauer Dauerschleife Respekt ein wegen des Wörtchens „Grundgesetz“, aha, Jura, ein paar Paragraphenzeichen schweben durchs Bild, schwierig, man driftet ab in Halbkonzentration, nicht ganz offline, vielleicht kommt doch gleich noch was intellektuell Verwertbares.

 

Das! That! 

 

Dieses innere Bild ist die Rolle, die Merz, Amthor oder auch Christian Lindner spielen. Sie bauen auf das inkorporierte Kapital als Mann und das Dispositiv des kompetenten Anzugträgers.

 

Ach, Lindner.

 

Auf seiner Website sitzt er, Blick frontal in die Kamera, agiert mit den Händen. Wer seine Hände zeigt, dem kann man vertrauen, wissen Image-Berater. Man sieht: Da klebt kein Blut dran.

 

Oh, apropos Blut: Lindner hat sogar den Jagdschein gemacht, wie das Amthörchen. 130 Stunden bei einem Privatdozenten. Nach soviel Natur wird er ganz besinnlich:

Der Moment des stillen Bedauerns ist eher nach dem Schuss.

Wenn man das kleine Wesen erlegt im Gras liegen sieht –

mit winzigen Hufen und Knopfaugen. Nur wenn man kein Herz hat,

ist man da beim ersten Mal nicht gerührt.

 

Ganze Tage habe er in der Jagdschule verbracht. Toll, wofür so ein MdB Zeit hat. Jedenfalls hat er jetzt eine Große, der Lindner. Damit meint er nicht seine Tochter. Er hat keine Kinder (von denen er weiß, höhö!), nein, seine Große ist ein Geradezugrepetierer mit lichtstarker Optik. Das Beherrschen der Lingo gehört zum Kammerspiel dazu. Dank FDP-Intervention in Nordrhein-Westfalen darf er mit Schalldämpfer schießen. Das ist wichtig für die Gesundheit der Jagdhunde. Forstwirtschaft und Jagd brauche es, um den Wald gesund zu halten.

 

Ob er mal im Schwarzwald die unglaublichen Holzberge gesehen hat, die entstehen, wenn man die Stämme einfach durch den Häcksler jagt? Borkenkäferbefall durch Monokultur. Es rechnet sich, das Holz zu schreddern, um den Holzpreis nicht ins Bodenlose sinken zu lassen. Super, so ein freier Markt. Die riesigen Feuchtholzlager aus Sturmholz am Wegesrand duften toll nach Wald.

 

Oder unser Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Peter Altmaier. Manchmal kann man deutlich erkennen: Ja! Jetzt! Jetzt spricht er gerade, was er denkt, das kommt direkt aus dem Hirn, ungefiltert, er traut sich, wenn er sagt, vielleicht mag sich mal einer einen neuen CD-Player kaufen für billiger wegen der gesenkten Mehrwertsteuer!

Sobald es an empfindlichere Fragen geht, etwa ein staatliches Mitspracherecht an der Verwendung der Gelder zur Rettung von Lufthansa, fällt er in seinen eingeübten, christdemokratischen, antikommunistischen Charakter und erklärt, man habe ja gesehen, wohin es führe, wenn der Staat versuche, in der Wirtschaft mitzuwirken. Seine Stimme ändert sich, Prosodie, Blick, Gestik: Einstudiert.

 

Ach, Geld. Kaufkraft, Prestige, schnelle Autos, schöne Frauen.

 

Hochfrequenzhandel schöpft eine Menge Geld. Superschnelle Computer kaufen Aktien superschnell echten Leuten weg, um sie superkurze Zeit später höherpreisig dann doch an die echten Leute zu verkaufen.

 

Das ist, wie wenn ich beim Bäcker alle Brezeln kaufe, um sie dir dann für das Doppelte zu verkaufen.

Die Brezel ist aber immer noch eine Brezel.

Du hast sie bloß nicht günstiger bekommen, weil du den Weg zum Bäcker nicht kennst. Ich habe damit Geld geschöpft – aber keinen Wert.

 

Um es genau zu sagen, habe ich dein Geld abgeschöpft. Abgeschöpft.

 

Man weiß, dass dem irren Reichtum der Reichsten bereits seit Jahren gar kein realer Wert mehr gegenübersteht.

 

Werte. Werte! Wir brauchen Werte!

 

Börsennotierte Unternehmen bezahlen ihre Manager mit Aktien aus Aktienrückkäufen. Die Rückkäufe verknappen das Aktienangebot und erhöhen den Wert der Aktie. Und weil der Bonus der Führungskräfte an die Wertsteigerung der Aktien gekoppelt ist, macht es noch mehr Spaß. Die Führungskräfte werden nicht reinvestieren, das müssen sie ja gar nicht. Wertsteigerung geht ja auch so. Tolle Sache.

 

Übrigens wünscht sich die Mehrheit der Entscheidungsträger der deutschen Wirtschaft Merz als Kanzlerkandidaten. Überraschung! Der Mann wird es draufhaben, ist so erfolgreich in der Wirtschaft, und er kennt sich mit Aktien aus! Jongliert einfach so mit diesen ganzen vielen Nullen, ohne Angst!

 

Wenn wir die private Binnendimension merzscher, amthorscher und lindnerscher Erlebnisweisen aus ihren Zitaten und Handlungen extrapolieren, erreichen wir ein Land voller … Geld!

 

Geldflüsse, mit Kreisläufen des Geldes, mit Fruchtbarkeit liquiden Kapitals, mit blühender Wirtschaft, Wachstum des Bruttosozialprodukts, und die vielen Nullen aus dem Satz von vorhin werden zu Blütenblättern, die von Geldbäumen flattern. Hier wird etwas geschaffen. Mehrwert erzeugt. Fast ein bisschen, naja, göttlich.

 

Quesnay hin oder her, steril ist das not at all!

 

Back to reality! Geld, das auf dem Konto von Bezos immer mehr wird, schöpft keinen Mehrwert. Es wird einfach nur immer mehr Geld.

 

Mehrwert haben neue Straßen, ein funktionierendes Verkehrsnetz, Infrastruktur für Bildung und Gesundheit. Das sind Aufgaben des Staates. Die Aufgabe der Bahn war nicht, möglichst billig gebaute Züge zu effizienzmaximierten Fahrplänen ab und zu fahren, sondern dass Menschen an ihre Ziele kommen - möglichst sicher und zuverlässig. Seit dem Privatisieren läuft das nicht mehr so recht. Aber das Bruttoinlandsprodukt als Wert steht jetzt ganz gut da.

 

Wie absurd die Privatisiererei ist, kann man auch daran erkennen, dass die USA für die „Aufbewahrung“ eines Gefängnisinsassen mehr bezahlt, als es kosten würde, ihn in Harvard studieren zu lassen. Gefängnisse sind privatisiert.

 

Es gibt Leute, die gehen in die Politik, weil sie das Bedürfnis haben, für alle etwas zum Besseren zu wenden.

 

Alexandria Ocasio-Cortez geht es sicher nicht um Aktienoptionen, die ihr nebenher einer zustecken könnte.

 

Und wenn Jacinta Ardem sagt, dass Wirtschaftswachstum nicht als Erfolg zu bezeichnen ist, wenn damit eine Verschlechterung der sozialen Lage einhergeht, dann hat sie recht.

 

Wenn Katie Porter den CEO von JP Morgan mit handelsüblicher Addition klar macht, dass seine Angestellten mit dem Lohn, den er ihnen bezahlt, ihre Kinder nicht satt bekommen, dann spielt sie keine Rolle, sondern sie ist stinksauer.

 

Wenn sie Big Pharma CEOs fragt, weshalb eine Krebspille von einem Preis von 215 Dollar in 2005 auf 763 Dollar in 2020 gestiegen ist, fühlt sich der Angesprochene sichtlich unwohl. Er will nicht hören, dass Eltern bankrottgehen, um ihren kranken Kindern das Medikament zu kaufen. Das Diabetes-Kranke sterben, weil sie kein Geld haben für ihr Insulin.

 

Welchen Wert hat ein Mensch?

Welchen Wert hat die Erzieherin, die deinem Kind die Nase putzt?

Der Lehrer, der ihm Rechnen beibringt?

Die Pflegerin, die aufpasst, dass der Tee in der Schnabeltasse für deine Oma nicht zu heiß ist?

 

Bruttoinlandsprodukt ist ein tolles Wort. Dividendenerlös und Private Equity und Rent seeking und Deregulierung klingt alles ganz toll.

 

Aber was sind eigentlich Werte?

Was schöpft eigentlich Wert?

Und was schöpft WERT AB? 

 

Wenn du dich intensiver mit den Themen dieses Textes befassen möchtest, empfehle ich folgende Literatur:

Christina von Braun, Der Preis des Geldes

Mariana Mazzucato, Wie kommt der Wert in die Welt

Katrine Marcal, Machonomics